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Nachdem ihr euch über den Einsatz geeinigt habt, holst du dir ein Leihqueue, und während du geistesabwesend die Kugeln aufstellst, siehst du zu, wie dein Gegenspieler mit Routinemäßigen Handgriffen sein eigenes, mit Edelsteinen besetztes und mit allerlei Gravuren geschmücktes Luxusqueue aus dem mit rosa Satin ausgelegten Wildlederfutteral holt, es mit wenigen eingespielten Bewegungen zusammenschraubt und die Spitze fachkundig mit einer exakt kalkulierten Kreideschicht ausstattet. Das provoziert dich dazu, mit erhobenem Kopf die Leihkreide zu holen und Professionalität heuchelnd die Spitze des Leihqueus mit einer dicken Schicht von diesem grünen Zeug vollzuschmieren.
- Sie haben den ersten Stoß.
sagt der Herr mit den ergrauten Schläfen und legt dir die weiße Stoßkugel auf den Anstoßpunkt. Du legst dich über den Tisch und schrubbst die Kugel mit aller Gewalt in das bunte Kugeldreieck. Eine der halbfarbigen Kugeln rollt in's rechte Mittelloch. Schön, du hast die halbfarbigen Kugeln. Aber schon beim nächsten Stoß versagst du. Du machst deinen Gegner, der die dir ganze Zeit blasiert den Rücken zugewandt hat, darauf aufmerksam, daß er an der Reihe ist. Ein verächtliches Lächeln nicht verheimlichen könnend, begibt er sich an den Tisch und ziehlt. Was ist das? Er stößt, woraufhin sich zwei deiner halbfarbigen Kugeln in Bewegung setzen und in die dafür vorgesehenen Löcher rollen. Hat dieser göttliche Profi, dieser Guru der Billardsalons etwa verpasst, daß die halbfarbigen Kugeln DEINE Kugeln sind? Doch du traust dich aus Angst vor einem Mißverständnis zunächst nicht, ihn darauf hinzuweisen, daß er gerade eventuell im Begriff steht, einen für den Ausgang des Spieles entscheidenden Fehler zu begehen.
Mit zunehmender Genugtuung beobachtest du, wie der Profi nacheinander sämtliche halbfarbigen Kugeln mit raffiniert ausgedachten Trickstößen in die verschiedenen Löcher versenkt. Als er schließlich die letzte Kugel über drei Banden mittels könnerhaftem Kopfstoß einlocht, kannst du ein leises Kichern nicht mehr unterdrücken. Der Typ schaut sich nun mit gerunzelter Stirn nach dir um, und du bedankst dich laut herausprustend für den kleinen Gefallen, daß er deine Kugeln versenkt und somit sich selbst besiegt hat. Mit hochrotem Kopf, der auf überdurchschnittliche Blutzirkulation schließen läßt, wird dem plötzlich um Jahre gealterten Mann sein Fehler klar; nachdem er dich ausbezahlt hat und du elegant in Richtung Exit schlenderst, hörst du noch hinter dir ein krachendes Geräusch, welches auf den Tod eines edelsteinbesetzten und mit allerlei Gravuren geschmückten Luxusqueues schließen läßt. Du schlenderst gemächlich weiter zu 158.